Künstliche Intelligenz und Architektur - von der ausgelagerten Imagination bis zur baulichen Umsetzung wird die neue Technologie den Berufsalltag verändern. Was birgt der Erfahrungsschatz von Architekten, Strategen und Designern in Bezug auf diese Innovation, die unser menschliches Verständnis auf den Kopf stellt? Wie lassen sich welche Potenziale neu denken?
GRAFT gibt einen Einblick in die erarbeiteten Kernthemen, die perspektivisch weitergedacht werden können und den kreativen Prozess absehbar beeinflussen werden.
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Wir sehen Künstliche Intelligenz...
...als CHANCE:
mit Optimismus und Vielfalt
GRAFT nutzt künstliche Intelligenz seit 19 Monaten in vielfältiger Weise. Einerseits sind wir natürlich dabei, unsere textbasierte Bildgeneration zu üben und zu verbessern. Andererseits trainieren wir eine an Open AI angehängte büroeigene KI genannt „EDDI“, um spezifische Analyse- und Programmiertools für unsere Arbeitsprozesse zu entwickeln.
Wir haben mit Dr. Matias del Campo, dessen Forschungen im Bereich KI und früherer digitaler Entwurfsmethoden wir schon länger verfolgen, ein gekürztes Interview in diesem Journal integriert.
Um zwischen den schnellen Reflexen dystopischer Warnungen oder libertärer De-regulierungseuphorien navigieren zu können, ist es uns als „pragmatisch-optimistisches“ Büro ein Bedürfnis, sich ausgewogenen Expertenrat einzuholen. Bei jedem neuen technologischem Quantensprung muss man seine Positionierung innerhalb noch fluider Prozesse zu sozialen und moralischen Fragen immer wieder neu hinterfragen.
Die erzählerische Quellenlage und szenographische Detailtiefe der im Büro erzeugten KI-Bilder zeigen eine gewachsene Komplexität bei extrem verkürzter Arbeitszeit, die der Architekturwelt eine neue Dimension geben wird. Architektur ist Teamwork und deswegen immer ein Prozess, der sich aus den unterschiedlichsten Datenbanken, Gehirnen, Neigungen aller Beteiligten speist. Intentionale Parameter sind, genauso wie Serendipity-Effekte, Phänomene der Morphogenese in unserem Büro. Aber die Veränderungen durch Künstliche Intelligenz werden schnell und weitreichend sein. Innerhalb der digitalen Revolution der letzten 30 Jahre wird die nächste Zeit einen neuen Quantensprung bedeuten.
Den mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Negativprognosen der KI-Revolution begegnen wir noch mit dem Optimismus eines „Fortschritt-offenen“ Büros. Nur Wissen und Lernen schützt uns vor dem Ausgeliefertsein gegenüber den Veränderungen, die derzeit stattfinden. Dabei sind hier Chancen gerade auch für kleinere Budgets und Arbeitsformate vorhanden, erlaubt die KI doch aufgrund Ihrer geringen Investitionskosten das Simulieren ehemals teurer Arbeitsprozesse, in die bisher nur umsatzstarke Büros investieren konnten.
...als SINN-DECODER:
Neue Kriterien entstehen
Wir alle erleben eine schiere Flut und inhaltliche Breite von KI generierten Bildern in den letzten Monaten. Dabei haben sich die für laienhafte Anwender zur Verfügung stellenden KI-Formate alleine in dieser Zeit rasant entwickelt. Menschen, die vorher aufgrund der Notwendigkeiten jahrelanger Ausbildungs- und Übungswege keine kreativen Autoren waren, sind nun durch die KI ermächtigt, sich in den Schaffensprozess einzubringen.
Auch in den Anfängen des Entwerfens mit digitalen Werkzeugen, die GRAFT seit seiner Gründung in den 1990er Jahren erlebt hat, haben sich nach den anfänglichen, naiven Experimenten und leicht erzeugten Begeisterungen mit parametrischen Formfindungsexzessen, im Folgenden dann Debatten über Qualität, Intention und Bewertbarkeit erst im zweiten Schritt herausgebildet. Ähnlich wird es sich mit den neuen KI-Werkzeugen verhalten. Heute ist der Feedbackloop aus den KI-Werkzeugen für uns, gerade im Bezug auf Zeiteffizienz, voller Überraschungen und Zufallsbedeutungen, wird sich aber schon bald kritisch verändern und reflektieren. GRAFT positioniert sich bewusst an der Innovationsfront und lernt mit offenem, aber kritischem Geist die neuen Möglichkeiten und Notwendigkeiten kennen.
Die Entwicklung von Schnittstellen unserer „Scriptkultur“ der letzten Dekaden, den BIM Prozessen und anderen digitalen Routinen in die neuen Möglichkeiten der KI-Werkzeuge interessiert uns. Dall E, Stable Diffusion und Midjourney werden sich im nächsten Jahr rasant weiterentwickeln. Neue Player kommen dazu, andere werden vergehen. Teil dieser Zukunft zu sein ist zugleich Verantwortung, Privileg und auch ein Quell von Freude.
...als AUTOMATISIERTE PRODUKTIONSTÄTTE:
Von Text/Bild über 3D zu BIM (2021) und Automatized Product (2024)
Der Weg vom Text zum Bild ist bereits in den letzten paar Monaten für uns pragmatische Anwender unglaublich verkürzt und qualitativ verbessert worden. In Zukunft kann vielleicht mit wenigen Bearbeitungsschritten vom Text zum 3D-Modell und dann in ein BIM-basiertes Architekturmodell überführt werden.
Die gefällige Vorstellung ist, dass ein Gebäude buchstäblich vom Textprompt über die Planung bis zur Ausführung „heraufbeschworen“ werden könnte. Wenn dann AGI, die künstliche allgemeine Intelligenz, entwickelt und marktfähig geworden ist, könnten noch größere Verselbstständigungen in den Planungsberufen auf uns zukommen.
In Expertengesprächen werden aber solche Lückenschlüsse in den Planungsschritten noch kritisch gesehen. Bis es zu einem geschlossenen Planungskreislauf per KI kommen wird, der von Versicherungen und Bauherren haftbar und von Banken beleihbar gemacht werden kann, wird wohl doch noch viel Zeit vergehen. Einzelschritte aber, werden möglicherweise bald aus den händischen, langsamen Prozessen ausgekoppelt werden können.
...als GENIUS LOCI:
Statistiken, Umgebungskriterien -
Details, Pragmatismus, Realitäten, Funktionen, Kosten, TGA, etc.
Der Genius Loci ist für uns fundamentaler Ausgangspunkt jeder Architekturerfindung. Schon die Nutzung computergestützten Entwerfens in den letzten Jahrzehnten ermöglichte eine bessere Beherrschung eines größeren Sets komplexerer Datensätze, multiplen technischer und parametrischer Einflussfaktoren und eine tiefere Durchdringung interdisziplinärer Faktoren aus anderen fachplanerischen Zuarbeiten.
Der Architekt als intuitiver und rationaler Autor könnte durch diese Werkzeuge mehr Information verarbeiten und intelligentere „Architektur-Antworten“ generieren.
Diese Faktoren können jetzt schon in Teilen von speziell trainierten künstlichen Intelligenzen in die Morphogenese von Architektur automatisiert übernommen werden. Dabei kann die KI einen weit höheren Grad an Komplexität und Masse von Inputmaterial zum Genius Loci verarbeiten, als die menschliche Autorenschaft.
In Zukunft können so ganze Entwürfe auf Knopfdruck an neue Standorte in fernen Ländern mit völlig anderen Bedingungen angepasst werden. In Zeiten, wo aufgrund wirtschaftlicher Zwangsfaktoren, serieller Vorfertigung und Massenmodulbau wieder diskutiert werden, kann die KI helfen, die ästhetische Simplizität und anonymisierte Identitätslosigkeit solcher Produkte hoffentlich zu verbessern. GRAFT versucht auf diese Weise, die wirtschaftlichen Sparnotwendigkeiten unserer Zeit und anspruchsvolle Baukultur besser als in den seriellen Bauprogrammen der letzten Jahrzehnte miteinander zu vermählen. KI kann helfen, diesem „Cracking the Code“ neue Wege zu öffnen.
...als ZUFALL–INTENTION:
Work-Play, Reverse processing
Seit rund 1,5 Jahren werden KI Text-Bild Generatoren in der Architekturwelt in die Arbeitsprozesse integriert. Am Anfang waren die Begeisterungswellen vor allem durch die Zufallserfahrungen einer experimentierfreudigen Pioniersstimmung geprägt. Jetzt werden zunehmend Rufe nach mehr Beherrschbarkeit und größerer Intentionskontrolle laut. In diesem Bereich werden sich die nächsten Schritte auftun. Das Hochladen von eigenen Skizzen, das Einlesen von Bildern, ganzer 3D-Dateien oder anderem Quellenmaterial sind schon möglich. Die Nutzeroberflächen für manipulative Werkzeuge, die Intention und Beherrschung vertiefen können, sind aber noch auf dem Anfangsniveau der ersten Photoshop-Versionen aus den Neunzigern.
Der Unterschied zwischen dem Spiel mit beeindruckenden Möglichkeiten und der Arbeit an einem Kreativprojekt wird sich rapide verschieben - der spielerische, durch automatisierte Zufallserfolge geprägte Charakter der heutigen KI-Arbeit erlaubt eine niedrigere Anwendungsschwelle und erklärt die steile Wachstumskurve in den Nutzerzahlen in so kurzer Zeit seit Mitte 2022. Im nächsten Schritt wird aber das individuelle Können des „Operators“ wichtiger werden und die eigene Autorenschaft wieder erkennbarer werden lassen. KI kann nur „Erinnern“, bedient sich aus Datensätzen schon existierender Entwürfe und erfindet nichts neu. Neben Debatten um Urheberrechte und Vergütungspflichten liegt hier aber vor allen Dingen eine Grenze zwischen Mensch und Maschine, die nicht so schnell übersprungen werden wird.
...als STYLE
“in the style of” generiert neue
Autoren, Hybride
KI generierte Bilder gibt es in allen bekannten Stil- und Render-Techniken. Aufgrund seiner Datenbank-basierten Arbeitsweise simuliert die KI jedweden gewünschten Output-Stil für die abgefragten Bilder. Ein gekonnter Entwurf “im Stil” von Kengo Kuma oder Karl Friedrich Schinkel, ein ausdrucksstarkes Rendering „in der Art“ von Edward Hopper, und schon ist das Mensch-Maschine-Hybrid Teil eines kollektiven Giga-Gehirns, das auch die Kreativität von allen Egos befreien soll. „In the style of“ ist derzeit einer der am häufigsten benutzten Prompt-Bausteine auf Midjourney. Die KI erlaubt einem, in Sekundenschnelle geliehene Identitäten oder handwerkliche Signaturen überzustreifen. Durch die Hybridisierung verschiedener Referenzwelten entstehen aus diesen gestohlenen Autorenschaften wieder neue stilistische Welten. Christoph Körner, Gründungspartner von GRAFT und heute Professor in Los Angeles, hat schon 1998 an der UCLA mit seinem Projekt „Genetic Bastards“ mit einer durch den Nutzer partizipativ gesteuerten Mischung von stilistischen architektonischen Quellcodes gearbeitet.
Einige kreative Berufe, wie der des Fotografen, haben sich seit Beginn der Digitalisierung gut gegen die unerlaubte Wiederverwendung schützen können, Musiker haben mit den Streaming-Diensten eine gewisse, aber deutlich geringere Sicherheit erstritten, und ganz am Ende stehen Berufe wie der des Übersetzers, dessen Wissen von den Algorithmen der schon sehr weit entwickelten Sprachprogramme völlig unbrauchbar gemacht wurde und welcher damit keinen Lebensunterhalt mehr verdienen kann. Architekten werden hier ihre nicht austauschbare Einzigartigkeit als Autoren neu erfinden müssen. Zwischen regelbasierten Schutz durch Governance und wettbewerbsfähigem Steigern des eigenen, einzigarteigen Talents wird sich hier ein Weg erfinden müssen.
...als KONTROLLE und WERT
Legislative, Globalization-National, Democratic-Freedom
Wem gehört diese Gigamaschine? Und wer will für den Verbrauch der fossilen Energie verantwortlich sein, die sie benötigt? Wer übernimmt die ethische Verantwortung für ein globalisiertes System, das so viel Wissen in sich speichert? Gibt es Billionen kleiner, spezialisierter neuronaler Netze, die den Staaten unterlegen sind, oder werden Gigakonzerne ihre Produkte verkaufen, regulieren und kontrollieren können?
Wer darf mitbestimmen? Wird es ein Opt-Out-System geben oder werden Trends wie Analog-Natives entstehen, um eine künstlich imitierte Menschheit nostalgisch zu romantisieren? Das sind Fragen der Verantwortung, die nun auf uns zukommen und auf die wir noch keine befriedigenden Antworten kennen.
Als Endnutzer sind wir nicht unschuldig. Wir helfen der KI und ihren Besitzern diese weiterzuentwickeln und zu trainieren. Wir sind Komplizen einer Technologie, die wir nicht verstehen, deren Chancen und Risiken wir nicht überblicken können.
Trotzdem kann es keine Verantwortungsübertragung geben, sondern nur eine ständige Wachsamkeit vor den sich zeigenden Gefahren. Will man kreatives Leben leben, ist es unvermeidlich, hier Fehler zu machen.
...als DEVELOPER
Operator, User
Informatikberufe haben sich im letzten Jahrzehnt vervielfacht und werden immer besser bezahlt. Wird uns die Beherrschung der KI zu ausgebildeten Programmierern machen und uns von der Kerntätigkeit des Architekt-Seins entfernen? Architektur ist nach wie vor eine reale Kunst, die sich in der gebauten Welt entfaltet und Ihren Nutzen beweisen muss. Eine vollständige Abschottung von der materiellen Realität ist daher im Vergleich zu vielen anderen Berufen, die sich nur auf die Konzeptphase konzentrieren, nicht möglich.
FAZIT:
Es geht um die Beziehung zwischen bahnbrechender Technik und dem Menschsein.
Als Creatives, Coaches und Facilitators sind wir die eigentlichen Übersetzer zwischen der Inspirationsoberfläche der generativen KI und der gebauten Umwelt. Mit unserem Know-how in Architektur, Marken- und Arbeitswelten arbeiten wir daran, KI-Systeme anwendungs- und markenspezifisch zu konfigurieren und zu trainieren.
Dabei beschäftigen wir uns mit der Frage, wie das Verhältnis zwischen Menschen und disruptiver Technologie nachhaltig und humanistisch gestaltet werden kann. Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie, wo und wann wir uns den - zugegebenermaßen manchmal kontroversen - Innovationschancen der großen KI- und Tech-Konzerne öffnen wollen. Für uns ist klar: es braucht Persönlichkeit, Empathie, Esprit und echten Mehrwert.
Mit dem „Cognizant Workspace“ testen wir das Potenzial einer dialogbasierten Raumkonfiguration am Arbeitsplatz. EDDI, unsere künstliche Intelligenz, spielt dabei die Hauptrolle. Die KI mit eigener Persönlichkeit ist in der Lage, durch natürlichen Dialog über freies Hören und Sprechen sowie auf Basis von Kalendereinträgen die Umgebung in Echtzeit an die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen anzupassen. Das Training von EDDI ist so ausgerichtet, dass stets das produktive Miteinander und die Steigerung der Zufriedenheit aller Mitarbeitenden im Mittelpunkt stehen. Damit sich die Räume den Menschen anpassen und nicht umgekehrt.
Das Neuronale Netzwerk "EDDI" bietet als "Cognizant Workplace" in Zukunft folgende Parameter an:
- Persönlichkeit
- Empathie
- Hilfsbereitschaft
- Resolution, Lösungen bei Interessenskonflikten
- Das dynamische erzeugen von Räumen durch Live-Rendern, mit Einbeziehung der Kriterien von Smartbuilding und Home 2.0
*Der Cognizant Workspace ist ein Konzept von Nik Hafermaas,
in Kollaboration mit Dr.-Ing Detlev Herbst und Paul Herbst von herbst.design (EDDI Software)
Für mehr Information zur Methoden der KI: Baunetz Interview mit Wolfram Putz