Die magische Identität des ICC - Zeitreise in eine optimistische Zukunft

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Die magische Identität des ICC - Zeitreise in eine optimistische Zukunft

>>>>>>>> Song für Space Age Atmosphäre

Das Internationale Congress Centrum (ICC) am Berliner Messedamm (c) picture-alliance ZB, Hubert Link (c)  dpa - Report
Das Internationale Congress Centrum (ICC) am Berliner Messedamm (c) picture-alliance ZB, Hubert Link (c) dpa - Report

Der Leerstand des Internationalen Congress Centrums beschäftigt die Berliner Öffentlichkeit seit der Schließung 2014.

>>>>>>>> GRAFT Interview im Tagesspiegel 4. Juni 2023

Seither wird der Wunsch nach einer ökonomisch sinnvollen Wiederaktivierung und Instandsetzung des gesamten Geländes von vielen Seiten laut geäußert. Ein frischer Blick auf die Entstehung des Aluminiumkolosses lässt dabei wichtige Aspekte der Identitätsfindung der jüngeren Geschichte Berlins aufglänzen.

>>>>>>>> Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Denn das ICC ist mehr als eine Architekturikone auf besonders großer Fläche – übertritt man die Schwelle ins weich ausgelegte Innere, begibt man sich auf eine Zeitreise in die Aufbruchstimmung des optimistischen Zukunftsbilds der 1970er Jahre.

Cedric Price Fun Palace interior perspective (c) Cedric Price fonds (c) CCA
Cedric Price Fun Palace interior perspective (c) Cedric Price fonds (c) CCA

Der Gestalter als Visionär

Ein ganzes Universum liegt hinter der High-Tech Fassade dieses faszinierenden Architekturobjekts verborgen – über alle drei Dimensionen erstreckt sich ein Gesamtkunstwerk, das sich Gestaltungsmitteln der Architektur, des Innenraum- und Industriedesign, sowie der ganzen raumplanerischen Palette der postmodernen High-Tech-Welle und des Pop bedient. Dabei boten die 1970er Jahre den Architekten Schüler und Schüler-Witte eine ganz neue Rolle - als Visionäre der Zukunft: Das ICC entstand als eine Art Raumbahnhof für das Zusammentreffen der internationalen Gemeinschaft auf der isolierten Insel West-Berlins, der die Sehnsucht nach Freiheit und Zukunft optimistisch zum Ausdruck bringt. Das hier suggerierte, über den begrenzten Raum Berlins hinausweisende Raumerlebnis, die zweite, neue Welt der unbegrenzten Möglichkeiten übt eine magische Anziehungskraft aus und fasziniert Besucher bis heute.

Shizuoka Press and Broadcasting Center Ginza, Tokyo (c) Wikimedia Commons Jonathan Savoi
Shizuoka Press and Broadcasting Center Ginza, Tokyo (c) Wikimedia Commons Jonathan Savoi

Entworfen in einem Kreativgeist bezeichnend für den Zukunftsoptimismus der 1970er Jahre, ist das ICC heute zu einer emblematischen Architekturikone geworden. Das Gebäude erscheint als gebaute Utopie in der Nachfolge der internationalen Debatten der 60er Jahre u.a. von Metabolisten und Situationisten, die Stadt als „Ereignisraum“ und Architektur als dafür entwickeltes „Bühnenbild“ begreifen. In dieser Zeit entstehen mitreißende Utopien, dreidimensionale Raumgefüge, Raummaschinen, wie es die Entwurfsbeispiele von Cedric Price, Constant und Archigram zeigen.

Berlin Circus (c) Alma Grossen
Berlin Circus (c) Alma Grossen

Das Vertrauen in die Zukunft scheint sich schließlich aber gerade in vielen Infrastrukturbauten in Berlin, an der Schnittstelle zwischen Ost und West, besonders Bahn zu brechen. Berlin steht zu dieser Zeit im Brennpunkt des Weltgeschehens, hier entstehen träumerische Bauten der Mobilität und des Austauschs, wie der Flughafen Tegel, die U-Bahnstationen Rainer Gerhard Rümmlers, der Bierpinsel und dann das ICC. Doch auch im Ost-Teil der Stadt ist Architektur von ähnlichen Begeisterungen getragen, die das „Space Age“ über den Globus hinweg in der Architekturszene eröffnet. Es entstehen der Fernsehturm und die Schalen-Bauten Ulrich Müthers. Das ICC scheint als Raumschiff, in das die ganze Welt eingeladen werden soll, dem Ganzen die Krone aufsetzen zu wollen.

U-Bahnhof Fehrbelliner Platz (c) Verena Pfeiffer-Kloss, 2014
U-Bahnhof Fehrbelliner Platz (c) Verena Pfeiffer-Kloss, 2014

Der Wandel der Berliner Mentalität

Die Stimmung, die 1979 bei der gefeierten Eröffnung des ICCs herrschte, steht jedoch in starkem Gegensatz zur zweifelnden Mentalität der deutschen Gesellschaft der Gegenwart. Berlin wird seit der Wiedervereinigung „kritisch rekonstruiert“ und historische Gebäude wiederaufgebaut. Die Faszination für die Zukunft, angefeuert durch den Konkurrenzkampf zwischen Ost und West, der sich bis in den neu zu erforschenden Weltraum erstreckt, zeichnete hingegen die Planung des ICCs (1975-79) aus und machte aus dem damaligen Gebäudekonzept ein Ausrufezeichen im Wettbewerb der Systeme.

Bierpinsel (c) Stefano Perego
Bierpinsel (c) Stefano Perego

Beide Teile der Stadt beanspruchten die Aufgabe für die Zukunft Berlins zu bauen für sich und beabsichtigten über die Geschichte und Gegenwart hinaus zu wachsen. Im Gegensatz zum nur sechs Jahre zuvor in Ost-Berlin entstandenen Fernsehturm (1965-69), dem heutigen Wahrzeichen Berlins, hat das ICC heute jedoch Schwierigkeiten eine neue Identität zu finden. Vielleicht liegt das an der von diesen beiden Mega-Bauten ganz eigenen Mischung aus Raumstation und dekorativer Leichtigkeit, von der wir mittlerweile gedanklich Lichtjahre entfernt sind.

Zukunftsbilder gestern und heute

Die Begeisterung für Technik mischte sich zur Zeit der Entstehung des ICC dabei nicht nur im Westen eigentümlich mit den Ideen individueller und gesellschaftlicher Befreiung und Emanzipation. Space Age trifft auf Flower Power, Hochglanz auf Pop, Maschine auf Plüsch. Die Lounge-ähnlichen Kojen mit Ledersesseln und das futuristische Luxusgefühl der geschwungenen Kurven von Aluminiumautos bis zu Aschenbechern werden im ICC aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt. Die Technik, vom Menschen als Diener und nach dem Vorbild der Natur entwickelt, übernimmt mit organischem und modularem Wachstum seine Lebensbereiche. Und wird zugleich zum Inspirations- und Hoffnungsträger.

Den heutigen Besucher überkommt beim Eintritt in das ICC immer noch das Gefühl einer neuen Identität, welche man wie einen Astronautenanzug überziehen kann, um so dieses Raumschiff in all seinen Dimensionen zu erkunden. Der Übergang vom Zeitgenossen zum Zukunftsbewohner ist befreiend, gewagt und gleichzeitig kindlich, ehrlich – er liegt nah an den aktuellen Sehnsüchten sozialer Utopie. In der Arche der Zukunft ist jeder gleich: hier erfindet die Besatzung ihre Rollen neu. Bei dem Versuch, das ursprüngliche Konzept des ICCs in das heutige Zeitalter zu transportieren, muss jede Strategie sich dieses Optimismus‘ der Vergangenheit bedienen, um Berlin einen Impuls für neues Selbstbewusstsein zu geben.

DIE EINLADUNG IN EINE NEUE WELT
Die Bedeutung des Internationalen Congress Centrums ICC liegt nicht nur in seiner überdimensionalen Größe, sondern insbesondere in seiner eigenständigen Funktion als unabhängiges, selbstreferenzielles Gebäude. Als „Raumbahnhof“ fasst es unterschiedliche Mobilitätsfunktionen in einer architektonischen Schnittstelle zusammen: parken, fahren, laufen – ist alles innerhalb des Gebäudes möglich. Rolltreppen und Klapp-Auditorien zeigen, dass das Gebäude selber mobil ist.

ICC Interior (c) Sarah John, Maria Ludewig
ICC Interior (c) Sarah John, Maria Ludewig

Die weiten Strecken verbinden futuristisch anmutenden Hörsäle miteinander, der Teppichboden gibt das Gefühl eine endlosen Spielfläche. Die Alternativ-Welt wird von den Architekten bis ins kleinste Detail erfunden. Futuristische Neonröhren zeigen Aufgänge über vier parallele Rolltreppen, die auf eine Zwischenebene mit galerieartigem Blick auf den „Marktplatz“ führen. Weiter oben, gibt es ein Auditorium mit vollständig verfahrbarem Gestühl, in dem Filme wie Stanley Kubricks Space Odyssee stattfinden könnten.

ICC Interior Q Berlin 2022 (c) Alma Grossen
ICC Interior Q Berlin 2022 (c) Alma Grossen

Diese Großzügigkeit, die ein körperliches Raumerlebnis möglich macht, zelebriert das schöne Gefühl der Science-Fiction, in dem wir alles für möglich halten und selbst unheimliche Wirklichkeiten spannend und lösbar auf uns wirken. Die Reise geht hier in eine Zukunft, die wir möglicherweise schon überholt haben, oder auch nie wirklich erreichen konnten.

ICC Interior (c) Sarah John
ICC Interior (c) Sarah John

Der allzu abhanden gekommene Zukunftsglaube ist hier als Schatz erhalten geblieben, greifbar in der Luft, dem Raum. Unterstützt wird dieses Gefühl durch die Leistungen der weiteren Beteiligten, Parallelkünste der Architektur: Das Neonleitsystem von Frank Oehring ist bahnbrechend für die Zeit und bereichert die räumliche Qualität der in Großteil im Dunkeln liegenden, als Kommunikationsfläche geplanten Flure und Flächen. Die Integration der technischen Gebäudeausrüstung in die Gestaltung entfaltet eine fast neo-barocke Kraft, wie sie Gesamtkunstwerken eigen ist. Trotz seiner Entstehung vor über 50 Jahren, wirkt dieses Bild von Technik noch aktuell auf uns. Die Maschine als Gefühl, eine Interaktion zwischen Mensch und Technik ist im ICC das Kernthema schlechthin. Davon können wir immer noch inspiriert werden!

ICC Close Up © Daniel Boberg
ICC Close Up © Daniel Boberg
ICC Himmel (c) Daniel Boberg
ICC Himmel (c) Daniel Boberg
ICC (c) Daniel Boberg
ICC (c) Daniel Boberg

Selbst als schlafender Riese wirkt der grau-silberne Koloss wie ein städtisches Aggregat zur Speicherung und Verarbeitung urbaner Energien. Allein seine „graue Energie“ schreit nach neuer Nutzung und neuem Leben. Wenn man ernsthaft einen Ort sucht, an dem das Ringen um Zukunft einen angemessenen Platz findet, dann kann auch heute die Welt hier wieder neu gedacht werden. Und wenn der Fernsehturm schon längst die himmelsstürmende Ikone der Berliner ist, dann kann auch das ICC wieder zu einem Raumbahnhof der Begegnung Berlins mit der Welt werden – ein Campanile und eine Kathedrale der Sehnsucht nach besserer Zukunft.

GRAFT im Interview mit Ronja Merkel im Berliner Tagesspiegel
GRAFT im Interview mit Ronja Merkel im Berliner Tagesspiegel
GRAFT im Interview mit Ronja Merkel im Berliner Tagesspiegel
GRAFT im Interview mit Ronja Merkel im Berliner Tagesspiegel

>>>>>>>>>>>>>>>>>> Video für Space Age Fantasien