Nachruf auf Meinhard von Gerkan

Mit Meinhard von Gerkan ist einer unserer wichtigsten Lehrer, Mentoren, Arbeitgeber und Schirmherrn aus dem Leben geschieden. Seit Studienzeiten ist uns seine robuste, aber stets klare Art, seine schnelle Urteilskraft und eindeutige Sprache in Erinnerung geblieben. Viele Kollegen werden heute bestätigen, dass ihre Fähigkeit, Grundrisse und Gebäude „sinnfällig“, wie er sagte, zu organisieren, an der unmissverständlichen und meist klar nachvollziehbaren Kritik Meinhard von Gerkans gewachsen ist. Das Erstaunlichste und Prägendste des Lehrers aber war seine stilistische Offenheit, seine Bereitschaft, auch formale Architektursprachen wert zu schätzen, die sich von seinem eigenen Tun unterschieden. Auch durch ihn haben wir gelernt, dass die Frage nach Qualität und Haltung direkt von der Fähigkeit zu Neugier, gestalterischer Offenheit und Vielfalt abhängt. Geschmackliche Vorlieben galten ihm wenig, aber Haltung, Konzept und Idee viel. Der Weg dorthin war ihm wichtig. „Entwerfen“ sagte er manchmal, muss man an der Universität lernen, da man danach keine Zeit mehr dazu hat. Den Anspruch und seine eigene Erwartungshaltung hat er immer klar verkörpert.

Meinhard von Gerkan hat in seiner Zeit an der TU Braunschweig eine ganze Generation von Architekten geprägt, viele haben nach dem Studium direkt bei von Gerkan Marg und Partner, bei gmp angefangen und mit der Zeit die Sprache auch „ihres“ Büros an immer zahlreicheren Standorten bereichert und entscheidend weiterentwickelt. Zu anderen seiner Studenten hat er Kontakt gehalten. Wir haben ihm bei GRAFT viel zu verdanken. Nicht nur als Professor oder Förderer unserer musikalischen Aktivitäten, als erster Chef, vor allem aber auch als Kurator, der uns die Durchführung von internationalen Förderakademien der Jürgen Ponto Stiftung übergab, hat er uns Vertrauen geschenkt. Bei Workshops in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze und in seiner Geburtsstadt Riga haben wir den Menschen Meinhard von Gerkan und seine Faszination für internationalen Architekten-Austausch und sein Bekenntnis zur kulturellen Überwindung des Eisernen Vorhangs kennen gelernt. Und wir hatten das Gefühl, dass er sich hier durchaus auch mit seiner eigenen Geschichte und Herkunft auseinandergesetzt hat. Unvergessen sind die Ausflüge an menschenleere lettische Badestrände und seine leuchtenden Augen bei Abschlussveranstaltungen im Nationalmuseum in Riga.
Ganz nebenbei wurde durch diese „Erst-Aufträge“ unsere Bürogründung in Berlin mitgefördert und gleiches gilt für unsere Bürogründung in Peking, die es ohne seinen Glauben an die Zukunftssehnsucht Chinas nie gegeben hätte. Mit frühen und großen Investitionen hat er sich als Pionier zu China bekannt. Eines unserer ersten Innenarchitektur-Projekte von GRAFT Beijing wurde in einem gmp Wohngebäude in Peking möglich. Der Austausch mit ihm und seinem Büro war uns wichtig in dieser faszinierenden Phase der Suche in China, die ihn angetrieben hat und die in dieser Form leider vorbei ist. Er hat an das Gute der dortigen Entwicklung immer geglaubt und dem kulturellen Austausch eine Chance gegeben. Es hat ihn zu einem kulturellen Botschafter Deutschlands gemacht.

Meinhard von Gerkan hat mit seiner entwaffnenden Sachlichkeit und einer zurückhaltenden, unpathetischen Baukultur dem Vor- und Nachwende-Deutschland über Jahrzehnte eines seiner baulichen Antlitze gegeben. Auch wenn unsere architektonischen Vorlieben und die Ausrichtung unserer Büros häufig nicht eng nebeneinander lagen, verdanken wir Meinhard von Gerkan viel und werden seine kompromisslose Suche nach einer konsistenten und überzeugenden Lösung, einem starken Konzept, immer in Erinnerung behalten – dies war und bleibt eine vorbildliche Haltung für unser architektonisches Denken.

Unser Beileid gilt seiner Familie, Volkwin Marg und allen Mitarbeitern bei gmp.